Hinweis: Dieser Artikel wurde ursprünglich im CGSG-Newsletter veröffentlicht, einem Organ der Conservation Genetics Specialist Group. Verfasst von Débora S. Raposo (GFBio e.V.), Pablo Orozco (DSMZ) und Amber H. Scholz (DSMZ).
Digitale Sequenzinformationen und das UN-Biodiversitätsabkommen
In politischen Kreisen bezieht sich der Begriff digitale Sequenzinformationen (DSI) auf DNA-Sequenzen, Proteinsequenzen und andere molekulare Daten. Entscheidungen über DSI im Rahmen internationaler multilateraler Abkommen könnten erhebliche Auswirkungen auf alle Lebenswissenschaften haben, die sich mit molekularen Daten befassen, einschließlich der Erhaltung der biologischen Vielfalt, der Landwirtschaft, der Medizin und anderer Bereiche.
Auf der letzten Konferenz der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (COP15) einigten sich die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity; CBD) darauf, dass die Vorteile, die sich aus der Nutzung digitaler Sequenzinformationen über genetische Ressourcen ergeben, durch einen multilateralen Mechanismus, einschließlich eines globalen Fonds, fair und gerecht aufgeteilt werden sollten. In der COP15-Entscheidung wurden mehrere Grundsätze für diesen Mechanismus dargelegt, z.B., dass er mit dem offenen Zugang zu Daten vereinbar sein muss und Forschung und Innovation nicht behindern darf. Dennoch blieben aufgrund der Kürze der Zeit, einige Aspekte ungelöst, so dass weitere Verhandlungen bis zur COP16 erforderlich wurden.
Auf der diesjährigen COP16 kamen die Vertragsparteien in Cali, Kolumbien, zusammen und konzentrierten sich auf die Operationalisierung des Vorteilsausgleichsmechanismus für DSI. Innerhalb von zwei Wochen tagten neun Kontaktgruppen zu digitalen Sequenzinformationen (DSI), und die Konferenz gipfelte in einer intensiven nächtlichen Abschlussverhandlung. Um 7:30 Uhr am 2. November einigten sich die CBD-Vertragsparteien auf die Modalitäten für die Umsetzung des multilateralen Mechanismus, einschließlich der Einrichtung des Cali-Fonds, eines Finanzinstruments zur Förderung eines gerechten Vorteilsausgleichs bei der Nutzung von DSI und zur Unterstützung der globalen Biodiversitätsziele. Der vollständige Text des Beschlusses der COP16 (CBD/COP/DEC/16/2) ist hier verfügbar.

Das DSI Scientific Network (Bilder), dem mehrere Mitglieder der CGSG angehören, nahm an der COP16 teil, um faktenbasierte Beiträge zu den Verhandlungen zu liefern. Sie forderten einen multilateralen Ansatz, offenen Zugang, einfache Systemänderungen und Kompatibilität mit anderen internationalen Abkommen über Access and Benefit-Sharing (ABS).
16. UN Biodiversitätsgipfel in Cali: Verhandlungsergebnisse zum Thema DSI
Fortschritte inmitten von Herausforderungen
Der COP16-Beschluss legte den Grundstein für die Umsetzung des multilateralen Mechanismus, indem er dessen Anwendungsbereich definierte (öffentlich verfügbare DSI, deren Vorteilsausgleich nicht durch andere ABS-Übereinkommen abgedeckt ist), die Verantwortlichkeiten der Nutzenden festlegte und Grundsätze für die Mittelzuweisung aufstellte.
Wer soll zahlen?
Mit dem Abkommen wird ein System eingeführt, bei dem gewerbliche Nutzende aus Sektoren, die direkt oder indirekt vom DSI profitieren, einen Beitrag zum Cali-Fonds leisten sollen. Diese Nutzende müssen 1% ihres Gewinns oder 0,1% ihrer Einnahmen beitragen, wenn sie mindestens zwei der folgenden drei finanziellen Schwellenwerte überschreiten: eine Bilanzsumme von 20 Mio. USD, einen Umsatz von 50 Mio. USD oder einen Gewinn von 5 Mio. USD (im Durchschnitt der letzten drei Jahre). Dieses Vorgehen ist zwar freiwillig, doch werden die Regierungen ermutigt, gesetzliche oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung zu gewährleisten. Nach einer vom CBD-Sekretariat in Auftrag gegebenen Studie könnte dieser Fonds jährlich bis zu 1 Milliarde US-Dollar für die Erhaltung der biologischen Vielfalt einbringen.
Bevor jedoch ein Konsens erzielt wurde, waren die Verhandlungen von intensiven Diskussionen geprägt. Eine der größten Herausforderungen während der zweiwöchigen Diskussion war die mangelnde Klarheit über die Zahlungsverpflichtungen der Nutzenden, wobei einige Parteien ein pauschales Zahlungssystem forderten, das sowohl kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Nutzende umfasst. Darüber hinaus stand der offene Zugang zu DSI auf dem Spiel, als die Entscheidungsträger:innen den Grundsätzen von FAIR, CARE, TRUST und der UNESCO-Empfehlung für offene Wissenschaft den Vorzug gaben, die weniger offen sind als die derzeitigen Praktiken der öffentlichen DSI- Datenbanken. Diese Fragen lösten erhebliche Bedenken aus, insbesondere bei den akademischen Nutzenden von DSI, die die politischen Entscheidungsträger:innen vor möglichen Störungen des freien wissenschaftlichen Datenflusses und den Auswirkungen auf die globale wissenschaftliche Zusammenarbeit warnten.
Weitere wichtige Ergebnisse
- Akademische und nicht-kommerzielle Nutzende sind von den finanziellen Beiträgen befreit: Nichtkommerzielle Nutzende wurden von der Beitragspflicht zum Cali-Fonds befreit, wodurch Bedenken hinsichtlich der finanziellen Belastung von Forschungseinrichtungen und Akademiker:innen ausgeräumt werden konnten.
- Beibehaltung des offenen Zugangs: Die Datenbanken werden weiterhin gemäß ihrer Open-Access-Praxis betrieben, um die wissenschaftliche Forschung zu erleichtern.
- Verwaltung der Datenbanken: Der Text des Beschlusses umreißt die Erwartungen an DSI- Datenbanken in Bezug auf den multilateralen Mechanismus, wie z. B. die Aufforderung an die Datenbanken, die Nutzende über mögliche ABS-Verpflichtungen zu informieren und die Einreichenden von Daten zu bitten, zu bestätigen, dass die DSI keine Verbote für die Weitergabe enthält. Nun stellt sich die Frage, wie die Datenbankbetreibenden diese Anforderungen effizient und zufriedenstellend umsetzen können.
Auch wenn es noch Herausforderungen gibt, bedeuten diese Ergebnisse ein Schritt nach vorn bei der Förderung eines gerechten Vorteilsausgleichs und der Wahrung der Grundsätze des offenen Zugangs. Eine detaillierte Analyse finden Sie in der COP16-Ergebniserklärung des Netzwerks.
Was passiert als nächstes?
Mehrere kritische Fragen sind noch ungelöst. Zu den Prioritäten der COP17 gehören (a) die Prüfung der Frage, ob eine neue Datenbank im Rahmen des CBD-Übereinkommens zur Unterstützung des DSI-Nutzensausgleichs erforderlich ist, (b) die Erörterung von Möglichkeiten zur Messung und Unterstützung nichtmonetärer Vorteile und (c) die Verbesserung der technischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen des Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (KMGBF).